„Das Gesetz der Schwerkraft“ – großes Theater über Identität und Sexualität in der Stadthalle
Ein Bericht von Marie Beer und Aaliyah Konik
„Ich wollte springen”, sagt Fred zu Dom. Aber was hat die Überwindung der Schwerkraft mit der Selbstfindung zu tun? Das zeigt uns unter anderem das Theaterstück „Das Gesetz der Schwerkraft”. Die Theateraufführung, von der Regisseurin Frances von Boeckel für die Burghofbühne Dinslaken inszeniert, handelt von zwei Jugendlichen, Dom und Fred (Antonia Dreeßen und Tom Gerngroß), die sich am dritten September an der Gottfried Glück Schule kennengelernt haben, als Fred neu zugezogen ist.
Die beiden entdecken gemeinsam, wer sie eigentlich sind oder sein wollen. Es geht um die Entwicklung der beiden persönlich und zusammen, um die verschiedenen Geschlechter und die Meinung anderer gegenüber den verschiedenen Geschlechtern und auch um das Thema Mobbing.
Neu in der „Vorstadt“
Die Handlung findet in der „Vorstadt” statt, wo Fred mit seinem Vater und Bruder neu hingezogen ist. Dort trifft er einen Jungen namens Dom. Sie verstehen sich gut, obwohl sie so anders sind. Gleichzeitig sind sie jedoch gleich und leben in ähnlichen Verhältnissen. Freds Mutter starb an einem Hirntumor, er hat nur noch seinen Vater und seinen Bruder; außerdem kämpft er mit seiner Selbstfindung. Doms Vater ist aus der „Vorstadt“ weggezogen, Dom hat nur noch seine psychisch kranke Mutter und neben seiner Identität auch noch mit Depressionen und Selbstverletzungen zu kämpfen.
Viele Themen
Die Aufführung thematisiert vieles gleichzeitig: Das Stück zeigt etwa den Verlauf von Doms und Freds Freundschaft, die Themen, mit denen die beiden zu kämpfen haben, und wie sie damit umgehen.
Besonders aber wird das Thema Identität in den Mittelpunkt gesetzt. Die Figur Dom sagt offen, wie er sich mit dem Ganzen auseinandersetzt, und auch, als was er sich identifiziert. Er sagt, er sei zwar biologisch ein Mädchen, nimmt aber die männliche Ansprechformen an und kleidet sich auch maskulin. Er erzählt Fred auch offen, dass er nicht in eine bestimmte Kategorie gesteckt werden wolle, sondern immer hin- und herwechseln wolle. Das bezeichnet man als „non-binary“, oder auch nicht-binär, was unter dem Überbegriff Transgender bekannt ist.
Sexualität
Das andere große Thema ist Sexualität. In dem Theaterstück sieht man, dass Fred für sein Verhalten oder auch für seine früheren Hobbys als „schwul“ beleidigt wurde. Die Gesellschaft hat also bestimmte Stereotypen im Kopf, wenn man das Wort „schwul“ hört; viele Menschen stecken Leute bei den kleinsten „Anzeichen” in Schubladen. Das macht es für Jugendliche schwer sich selbst zu finden, weil sie Angst vor diesen Schubladen und den dazugehörigen Beleidigungen haben. Und genau das verkörpert Fred im Theaterstück. Durch Dom aber findet Fred sich letztendlich und ist sehr glücklich darüber.
Ein Unterschied: zwischen den Beinen und auf den Schultern
Außerdem lässt sich auch erahnen, dass Dom nicht heterosexuell ist; dafür spricht eine Szene im Theaterstück, als er sich darüber äußert, dass es ihn nicht interessiere, was jemand zwischen den Beinen habe, sondern, was derjenige auf den Schultern habe. Der zugehörige Begriff ist pansexuell: Man interessiert sich nur für den Charakter der Person und lässt das Geschlecht außer Acht. Weiterhin sind das Auseinanderfallen der Familie und Depressionen große Themen, verkörpert in Dom.
Am 23. Juni der Handlung überqueren Fred und Dom endlich im Sprung die Brücke zu einem neuen Leben. Fred hat etwas Angst, aber Dom redet ihm gut zu. Und dann bedankt sich Fred bei Dom nochmals für alles. Als sie die Brücke überquert haben, fühlen sie sich definitiv besser auf der anderen Seite.
Die Form der Inszenierung
Worauf man auch noch aufmerksam machen sollte, ist, wie das Theaterstück gestaltet wurde. Anfangs mag der Zuschauer eventuell denken, dass die Inszenierung nicht professionell sei, da es billig wirkt aufgrund der Kulisse, die nie gewechselt wird; außerdem wird die Kulisse öfter von den Darstellern auseinander- und zusammengebaut. Oder die Darsteller ziehen sich auf der Bühne um: Beispielsweise als sie aus der Klippe, die als Rampe dargestellt wird, eine Holzplatte entnehmen und als Schild genutzt haben oder als sie zu einer Halloweenparty auf der Bühne ihre Kostüme angezogen haben.
Es wirkt anfangs so, als ob die beiden Darstellenden das Bühnenbild in ihrer Freizeit kurzzeitig auf die Beine gestellt hätten. Das aber ist alles geplant und einstudiert. Die Synchronizität und die Zeitgenauigkeit im Zusammenspiel der Darsteller zeigt, wie viel harte Arbeit in die Theateraufführung gesteckt wurde: eine große Anstrengung der Schauspieler, alles auswendig zu können und ohne Fehler die zwölf Szenen zu spielen.
Fazit
Persönlich fand ich das Theaterstück ganz toll und auch die Message, die es hatte. Obwohl ich kein großer Thearterfan bin und es für mich immer zu übertrieben wirkt, finde ich, dass diese Übertriebenheit bei dem Thema angemessen war.
Viele Menschen werden nie zuhören, wenn über das Thema Sexualitität und Identität geredet wird, weil sie es als sinnlos und irrelevant abtun; aber genau das ist es nicht. Und manchmal muss man übertreiben und etwas unter jemandes Nase reiben, damit einem zugehört wird.
Das Theaterstück war sehr gut; es hat Themen aufgegriffen, die heutzutage sehr wichtig sind und womit sich auch sehr viele Menschen beschäftigen. Es gibt immer wieder Menschen, die Themen wie Mobbing oder auch die verschiedenen Geschlechter nicht akzeptieren oder verstehen, dies hat man auch bei den Mitschülern und Mitschülerinnen von Dom und Fred gemerkt. Meiner Meinung nach wurde die Entwicklung, die Dom und Fred gemacht haben, sehr gut vermittelt, und ich denke auch, dass dieses Theaterstück vielen Jugendlichen gefallen wird.
Das Stück von Olivier Sylvestre wurde für Schülerinnen und Schüler Kamp-Lintforts bei freiem Eintritt in der Stadthalle am 11. Februar 2022 aufgeführt. Im Rahmen der Projekte zur kulturellen Bildung der Stadt Kamp-Lintfort wurde diese Vorstellung ermöglicht durch die großzügige Unterstützung der Stadtwerke Kamp-Lintfort.